Freitag, 7. August 2020
Der Arzt sagt: „Da ist ein Loch im Rossmeer. Deutlich zu sehen im MRT-Screening.“ Der Radiologe ist jung. Vielleicht 30. Er schaut auf den Monitor auf seinen Schreibtisch, der vor seinem Gesicht platziert ist. Zwischen mir und ihm. Er sagt hinter seinem Monitor: „Aus dem Loch strömt Methan.“ Ich kenne kein Organ, das Rossmeer heißt. Aber ich bin in Anatomie nicht gut. Alles Medizinische ist mir fremd. „Wo liegt es?“, frage ich. „Das sagt Ihnen Ihr behandelnder Arzt. Ich stelle nur die Diagnose“, sagt er. „Kann man das behandeln? Ist das gefährlich?“, frage ich. „Schwer zu sagen. So einen Fall gab es bisher nicht. Wenn es größer wird und an anderen Stellen auftritt, wird es schwierig“, sagt er. Ihm sei keine Behandlung bekannt, aber mein behandelnder Arzt kenne sich da besser aus.
Montag, 10. August 2020
P. fotografiert gern Lippen. Von Frauen. Volle Lippen. Rot bestrichen. Kein billiges Rot. Was dann? Ein volles, sattes Rot. Das hier? Nein, das ist zu schmutzig. Dann das? Nein, das ist zu hell. Und das? Das schon eher, aber so ganz ist es das noch nicht.
Donnerstag, 13. August 2020
W. wird operiert. Kopf. Gehirn. Dritte Operation, teilt mir E. mit. Der 13. sei ein Unglückstag. E. zählt alle Unglücke auf, die am 13.8. passiert sind. Sie beginnt mit dem Bau der Mauer in Berlin.
Freitag, 14. August 2020
Wenn man erstmal eine Diagnose weiß ist das Leben von der Minute an anders. Hätte mir der Radiologe doch nichts von dem Loch im Rossmeer erzählt aus dem Methan strömt. Ich spüre keinen Schmerz. Keine Veränderung. Nichts. Alles ist wie immer. Nur das ich jetzt weiß, was eigentlich? Das plötzlich alles anders sein kann für alle. Das ist die Vertreibung aus dem Paradies.
Sonntag, 16. August 2020
E. hat mir von W. ein Foto geschickt. W. schlafend.
L. klingelt gerade. Will bei uns frühstücken. Wir warten bis L. gefrühstückt hat und fahren dann mit dem Rad zum Frühstücken in unser Café. Unser Sonntagsritual.